Ich bin schon lange in der Extended Reality (XR)-Welt unterwegs und habe viele Höhen und Tiefen in dieser Technologie miterlebt. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das am meisten erwartete Ereignis in der Branche im letzten Jahrzehnt Apples Eintritt in den XR-Markt mit der Ankündigung der Vision Pro-Brille war. Als die Präsentation schließlich stattfand, waren die Erwartungen der Branche und des Marktes enorm.
Und wie immer in solchen Momenten spaltete es die Menschen in zwei Lager. Die einen sahen darin einen Durchbruch in der Technologieentwicklung und – anwendung, die anderen waren zurückhaltender und wiesen darauf hin, dass die Brille – obwohl technologisch fortschrittlich – die Erwartungen noch nicht erfüllt. Das Gerät ist immer noch recht sperrig und verdeckt einen großen Teil des Gesichts. Vor allem aber fehlen überzeugende Anwendungsfälle, die uns von seinem Potenzial für eine breite Akzeptanz überzeugen würden.
In diesem Artikel geht es nicht darum, ob das Produkt gut oder schlecht ist. Es geht um die Richtung, die Apple einschlägt, und um den Masterplan, den das Unternehmen mit seiner ersten XR-Brille – Vision Pro – verfolgt.
Autor: Bartek Rozbicki, Group XR Director SYZYGY GROUP
Aber wir wollen nicht zu weit vorpreschen. Betrachten wir erst einmal die Entwicklungswege und Produkte der drei Hauptakteure im Rennen um den heiligen Gral der Neuerfindung der Art und Weise, wie wir die künstliche Welt, die Zukunft der Computertechnik, nutzen.
- Oculus Quest 3
- Ray-Ban AR-Brille
- und Apple Vision Pro
Oculus Quest 3
ist die dritte Generation der Virtual Reality (VR)-Brillen von Meta, die die Messlatte für VR deutlich höher legt. Sie ist leicht, einfach zu bedienen, reich an Funktionen und verschiebt wirklich die Grenzen.
Es ist das bisher meistverkaufte Headset, was Meta eindeutig als Branchenführer ausweist.
Die AR-Brillen von Ray-Ban
sind eine Zusammenarbeit zwischen Ray-Ban und Meta Reality Labs und kombinieren stilvolles Design mit Augmented Reality (AR)-Technologie. Sie ermöglichen dem Nutzenden den Zugriff auf verschiedene AR-Funktionen, wie die Anzeige von Routeninformationen beim Radfahren, das Annehmen von Anrufen oder das Aufnehmen von Fotos.
Aufgrund ihrer Größe ist der Funktionsumfang aber sehr eingeschränkt und recht einfach. Die Brille repräsentiert aber das ultimative Ziel: leichte Geräte, die das Gesicht nicht verdecken.
Ich glaube, dass dies für die Attraktivität auf dem Massenmarkt unerlässlich ist, und solange die Technologie eine solche Größe zusammen mit einem umfangreichen Funktionsumfang noch nicht zulässt, werden die Brillen ein Nischenprodukt bleiben.
Apple Vision Pro
Sie ist das Ergebnis von über sieben Jahren Forschung und Entwicklung. Apple war schon immer für seine innovativen Lösungen bekannt, und der Eintritt in den XR-Markt ist da keine Ausnahme. Die Apple Vision Pro bietet ein Erlebnis, das die reale Welt mit virtuellen Elementen verschmilzt, dank fortschrittlicher Bewegungsverfolgung und präziser Gestenerkennung.
Eine weitere innovative Funktion ist die Netzhautabtastung, die den Cursor mit unglaublicher Genauigkeit dorthin setzt, wohin der Nutzer schaut,. Die Apple Vision Pro bietet eine Menge Innovationen, die das Unternehmen zum Marktführer machen könnten – wenn Nutzer auf Qualität Wert legen und sich nicht zu viele Gedanken über die Kosten machen.
Die Brille ist bequem, aber ist sie schon reif für den Massenmarkt? Meiner Meinung nach noch nicht. Aber es ist eine mutige Aussage von Apple – sie wollen wieder eine führende Rolle in der Technologie einnehmen und sind dabei, das Computing neu zu erfinden, oder besser gesagt, räumlich zu machen.
Warum habe ich ausgerechnet diese drei Produkte ausgewählt?
Wir sind immer noch auf dem Weg, die ideale Version zu schaffen – leichte Brillen in der Größe der Ray-Ban AR-Brillen, aber mit der Funktionalität von Oculus Quest und Apple’s Vision Pro kombiniert. Wir müssen verstehen, dass dies die Richtung ist, in die alle gehen, und es ist ihr erstes großes Ziel; das nächste könnte Retina-Kontaktlinsen oder sogar ein direkter Chip im Gehirn sein.
1. Die Vision Pro-Brille ist Apples Statement, dass das Unternehmen das Computing räumlich gestalten will
Bei dem Produkt geht es nicht nur um Marktfähigkeit, sondern auch um die Richtung. Der Preis von 3500 Dollar ist hoch, aber Apple will damit noch kein Geld verdienen. Das Ziel für 2024 ist der Verkauf von 150.000 Einheiten, ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu Apples Umsatz von über 380 Milliarden Dollar.
Das wirkliche Geld liegt in der Zukunft, in 10-15 Jahren, wenn die Massenanwendung stattfindet. Beim Produktdesign gibt es immer einen Kompromiss zwischen Qualität und Preis. Die Designer:innen der Vision Pro haben sich nicht auf die Wirtschaftlichkeit konzentriert – die Brille sieht luxuriös aus und ist aus hochwertigen Materialien und Aluminium gefertigt. Apple will die Messlatte höher legen und signalisiert damit, dass wir teurere, hochwertigere Geräte anstreben sollten, da sie schließlich Computer ersetzen werden.
Das erinnert mich an das erste iPhone, das doppelt so teuer war wie normale Telefone, aber die Leute kauften es, weil Steve Jobs damit die Zukunft vorstellte. Apple möchte mit dem XR dasselbe tun – die traditionelle Computertechnik neu erfinden – und den Menschen eine andere Art der Interaktion bieten.
2. Das Ziel von Apple ist es, die Messlatte höher zu legen und teurere und hochwertigere Geräte zu entwickeln, die eines Tages herkömmliche Computer ersetzen werden
Es ist 13 Jahre her, dass Apple zuletzt eine neue Gerätekategorie eingeführt hat – das iPad im Jahr 2010. Seitdem scheint die Innovation in den Hintergrund getreten zu sein – ein krasser Wandel für ein Unternehmen, das sie einst als einen seiner wichtigsten Werte betrachtete.
Steve Jobs, eine visionäre Führungspersönlichkeit, widersetzte sich oft Markttrends und Skepsis und stellte manchmal sogar seine eigenen Aktionär:innen und Mitarbeitenden in Frage. Seine unerschütterliche Zielstrebigkeit zeichnete das Unternehmen aus. Heute scheint der Ansatz von Apple von diesem Weg abgekommen zu sein. Der Name der neuen Brille – “Vision” – könnte ein Zeichen dafür sein, dass Apple versucht, diesen Geist zurückzuerobern und der Welt zu zeigen, dass das Unternehmen wieder bereit ist, innovativ und führend zu sein und die Zukunft der Menschheit zu verändern.
Apple fordert den Markt nicht nur mit einem hochpreisigen Gerät heraus, sondern stellt sich auch den technologischen Herausforderungen.
Der Wandel in der Unternehmensdarstellung ist deutlich spürbar. In den letzten Jahren wurde Augmented Reality stark betont, aber während der Enthüllung des Vision Pro änderte das Unternehmen seinen Ansatz subtil und konzentrierte sich weniger auf spezifische XR-Terminologien und mehr auf ein allgemeines Konzept der räumlichen Datenverarbeitung. Diese Verschiebung könnte darauf hindeuten, dass das Produkt noch nicht für den öffentlichen Gebrauch bereit ist, was zu einem Wechsel der Erzählung von Outdoor- zu Indoor-Anwendungen führt.
Der Weg zu einem Gerät, das auch im Freien funktioniert, ist lang und komplex – eine Herausforderung, die in der XR-Gemeinschaft wohlbekannt ist. Die Größe des Geräts ist, wie ich bereits erwähnt habe, eine große Hürde. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand in der Öffentlichkeit ein Gerät tragen möchte, das die Hälfte des Gesichts verdeckt. Daher scheint es, dass Apple seine Präsentation auf den aktuellen Entwicklungsstand seines Produkts zugeschnitten hat.
3. Apple hat mit seinem Ansatz das Narrativ deutlich verschoben – statt die vertrauten XR-Terminologien zu verwenden, hat Apple den Schwerpunkt von Outdoor- auf Indoor-Anwendungen verlagert
Dieser Schritt ist nicht nur eine Abweichung von der Marktnorm, sondern er stellt auch die etablierte Semantik und den gewohnten Wortschatz in Frage.
Die Strategie von Apple ist klar: Das Unternehmen möchte sich in der Technologielandschaft behaupten und sich als Pionier positionieren. Die Kühnheit des Unternehmens zeigt sich darin, dass es konventionelle Begriffe wie XR, VR, AR und sogar KI vermeidet – eine Taktik, die bei anderen Tech-Unternehmen nicht üblich ist. Diese Strategie wird in einem Video des bekannten Tech-YouTubers Marques Brownlee scharfsinnig analysiert, der erläutert, wie Apple versucht, diesen neuen Bereich für sich zu gewinnen.
Dies erinnert an den Ansatz, den das Unternehmen mit dem iOS-Ökosystem verfolgt: eine engmaschige, in sich geschlossene Welt, undurchlässig für externe Akteure. Die Integration von Brillen in die Produktpalette spiegelt diese Strategie wider: Durch die Nutzung einer soliden Basis, von denen viele zu den Early Adopters gehören, und einer Vielzahl von Anwendungen sollen diese neuen Geräte in das bestehende Ökosystem eingebettet werden, um die Nutzer:innenbindung weiter zu festigen.
Was mir bei der Präsentation von Apples Vision Pro am meisten auffiel, war der offensichtliche Mangel an konkreten Anwendungsfällen. Das Highlight war die Nutzung der Brille für das Anschauen von Filmen. Insbesondere eine Zusammenarbeit mit Disney erscheint dies eine logische Kombination angesichts der gemeinsamen Geschichte und der Dominanz von Disney in der Unterhaltungsbranche. Darüber hinaus wurde in der Präsentation die Verwendung von iOS-Apps mit der Brille angesprochen und nur wenige Sekunden dem Gaming gewidmet. Für mich als Spieleentwickler war das eine Überraschung.
Ist es möglich, dass Apple Spiele in seiner Strategie zur Entwicklung von Inhalten ausklammert? Insgesamt hinterließ die Präsentation den Eindruck, dass Apple noch nicht genau weiß, wohin mit seinem Produkt. Wie das Sprichwort sagt, befriedigt ein Produkt, das für alles gedacht ist, letztendlich nichts. Diese Zweideutigkeit, speziell bei der Marktpositionierung des Vision Pro, war eine verblüffende Überraschung.
Es schien, als ob Apple selbst bei der Enthüllung der Brille zögerte, ihren Platz zu definieren – abgesehen von der Betonung ihres Premium-Charakters.
Der offensichtliche Mangel an überzeugenden Anwendungsfällen für Apples Vision Pro-Brille deutet auf ein gewisses Zögern bei der Definition ihrer Marktpositionierung hin
Schlussfolgerungen:
1. Mit der Einführung der Vision Pro Brille hat Apple seine Absicht bekräftigt, das virtuelle Erlebnis zu revolutionieren
2. Diese Ambition ist nicht kurzsichtig. Apple ist sich der technologischen Komplexität und des noch nicht ausgereiften Stands der entsprechenden Technologie bewusst. Dennoch legen sie den Grundstein für zukünftige Fortschritte in diesem Bereich.
3. Das Nebenziel von Apple ist eine Veränderung seines öffentlichen Images. Das Unternehmen möchte als Innovator und Trendsetter wahrgenommen werden, der die Entwicklung des Marktes diktiert, so wie es das Unternehmen, während der durch die Einführung des iPhones ausgelösten mobilen Revolution getan hat.
4. Vision Pro sollte noch nicht als fertiges Produkt betrachtet werden. Es stellt die erste Phase auf einer anspruchsvollen Reise zu einem umfassenden Ökosystem für räumliche Datenverarbeitung dar. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, aber die letztendliche Belohnung ist beträchtlich: die Neugestaltung der Art und Weise, wie Menschen mit dem virtuellen Raum umgehen.
Wie so oft, wird die Zukunft der endgültige Richter sein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.