Thinking

Die AI-Revolution nimmt Fahrt auf

Publiziert
16. März 2023

Technischer Fortschritt – Fluch oder Segen?

ChatGPT ist in aller Munde. Für die Digitalindustrie ist der sprach- und textbasierte Chatbot ein wahrer Hype in Sachen Artificial Intelligence (AI), d. h. künstlicher Intelligenz beziehungsweise AI. Dabei sind die verwendeten Basistechnologien wie maschinelles Lernen und neuronale Netze nicht neu. Durch das Chat-Interface jedoch ist diese Technologie nun so zugänglich wie keine andere Software-Demonstration bisher. Nun wird auch einer breiteren Öffentlichkeit deutlich, welches Veränderungspotenzial AI-Technologien für die Wirtschaft und Gesellschaft mitbringen.

Was sagen unsere Experten Frank Ladner, Chief Technology Officer der SYZYGY GROUP, und Marc Zollingkoffer, Director Software Engineering SYZYGY Techsolutions, zu der AI-Revolution?

Ist ChatGPT der „iPhone Moment“ dieser Technologie?

Frank: Wer weiß? Die Erfahrung lehrt, dass auf den Hype immer das „Tal der Ernüchterung“ folgt. Das dürfte dieses Mal nicht anders sein. Allerdings gibt es einen Unterschied zu vielen Hypes der Vergangenheit: Hinter diesem steckt viel Substanz.

AI-Technologien werden bereits heute in vielen Branchen eingesetzt. In unserer „Heimatbranche“ der Digital- und Marketingbranche zum Beispiel kommt AI in Tools und Services für die Zielgruppenanalyse, dem Targeting, Datenmonitoring und der Datenanalyse zum Einsatz. Auch bei der Marketing-Automatisierung, der Content-Erstellung und -Pflege sowie in der Softwareentwicklung, um nur einige Bereiche zu nennen, spielt AI bereits eine Rolle.

Wenn die Basis hinter ChatGPT nicht neu ist, warum dann der Hype?

Marc: Der Chatbot ist ein weiteres Beispiel dafür, wie schnell sich die AI-Technologie weiterentwickelt und immer mehr Einzug in die Wertschöpfungsketten hält. Sie schafft erhebliche Produktivitäts- und Qualitätsvorteile, indem sie Routineaufgaben automatisiert und komplexe Aufgaben überhaupt erst einer maschinellen Be- und Verarbeitung zugänglich macht. Daher wird sich auch diese Technologie durchsetzen. So wie alle Technologien in der Vergangenheit mit vergleichbaren Vorteilen auch.

Technologischer Fortschritt und Innovationen müssen vorangetrieben werden, um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken.

Marc Zollingkoffer
Director Software Engineering SYZYGY Techsolutions

Das heißt, wir erleben gerade den Beginn der nächsten Stufe der Digitalisierung?

Frank: So gesehen, ja. Die AI-Technologie wird ihren Weg fortsetzen und letztlich alle Wirtschaftsbereiche durchdringen. Auch wenn ChatGPT noch nicht der „iPhone-Moment“ der AI-Technologie sein sollte, so kommt er doch bestimmt und bald.

Das wirft die Frage auf, mit welcher Haltung wir dieser Technologie begegnen sollten?

Marc: Die Suche nach einer Haltung ist nicht neu und führt schon seit Langem zu einer kontroversen Diskussion rund um den technologischen Fortschritt im Allgemeinen. Auf der einen Seite befürchten Menschen, dass die Maschinen die Arbeitsplätze streitig machen werden und damit die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung eintritt. Andererseits ist genau dies die Grundlage des großen Traums von Schlaraffia: Alle lebensnotwendigen Grundbedürfnisse sind gedeckt und jeder kann seinen eigenen Neigungen nachgehen, ohne den täglichen Kampf ums Dasein führen zu müssen.

Gemeinsam ist beiden Visionen, dass sie den zunehmenden Einsatz von Technik – quantitativ und vor allem qualitativ – als optional verstehen. Man kann, aber man muss sie nicht nutzen.

Wie kann uns die AI sinnvoll unterstützen? Ist der Einsatz von Technik optional?

Marc: Nein, das Verständnis, dass der zunehmende Einsatz von Technologie optional sei, ist aus meiner Sicht falsch. Wer sich mit der demografischen Zukunft Deutschlands und Europas beschäftigt, wird zu dem Ergebnis kommen, dass schon bald eine ganz andere Herausforderung auf uns zukommen wird. Technologischer Fortschritt und Innovationen müssen vorangetrieben werden, um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken. Es geht also nicht um Untergang oder Schlaraffenland. Auch nicht darum, ob wir es wagen oder ob wir es wollen. Ohne wird es schlicht nicht gelingen die kommenden Herausforderungen zu bewältigen.

Frank: Absolut! Wenn unter dem sich abzeichnenden demografischen – und natürlich auch geostrategischen und energiepolitischen – Wandel in Deutschland und Europa das gewohnte Wohlstandsniveau gehalten werden soll, wird der breite Einsatz technologischer Innovationen, wie eben auch von AI-Technologien, unverzichtbar sein. Nur so lassen sich Fortschritte erzielen, die notwendig sind, um unseren Wohlstand zu erhalten bzw. zu steigern und die anderen Herausforderungen zu bewältigen, wie etwa die Dekarbonisierung, d. h. den Umstieg von fossilen Brennstoffen auf kohlenstofffreie und erneuerbare Energiequellen.

AI-Technologie wird ihren Weg fortsetzen und letztlich alle Wirtschaftsbereiche durchdringen.

Frank Ladner
CTO SYZYGY GROUP

Welche Rolle übernimmt AI hierbei?

Frank: Im Allgemeinen führt der Einsatz von AI-Technologie zur Automatisierung von Prozessen und Aufgaben, was Zeit- und Kosteneinsparungen ermöglicht. Sie kann beispielsweise Routineaufgaben automatisieren, wodurch Zeit und Ressourcen für menschliche Arbeitskräfte frei werden. Diese können dann in konzeptionelle und kreative Aufgaben investiert werden. Dies führt zu einer höheren Zufriedenheit und Motivation der Menschen. Prozesse könnten optimiert und Fehlerquellen minimiert werden. Die Qualität steigt bei gleichzeitig niedrigeren Kosten. Insgesamt trägt die Integration dieser Technologie somit zur Förderung einer innovativen und wettbewerbsfähigen Wirtschaft bei.

Im Fokus der Öffentlichkeit stehen meist die großen Themen wie autonomes Fahren oder gleich AGI, sprich Artificial General Intelligence. Einige Menschen befürchten, dass dies sie quasi überflüssig machen soll. Dabei gibt es viele greifbarere Aufgaben, die angegangen werden können und deren Lösung in der Summe für die nahe und mittelfristige Zukunft wichtiger sein könnte.

Welche Aufgaben wären das?

Marc: Blicken wir über den Tellerrand der Digitalindustrie hinaus, ergeben sich beispielsweise Anwendungen in der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. Dort wird die Gesundheitsfürsorge aufgrund des demografischen Wandels zunehmend schwieriger. Telemedizin und automatisierte Diagnostik können hier Perspektiven bieten und ein Teil der Lösung sein. Es geht darum, die rückläufige Zahl der Hausärzte durch den Einsatz von AI-Technologie zu entlasten. Und nein, hier sprechen nicht davon, menschliche Empathie gegen seelenlose Technik zu ersetzt. Der Punkt ist, ob und in welcher Qualität noch behandelt werden kann.

Oder ein ganz anderes Beispiel: In der vergangenen Reisesaison kam es unter anderem zu Engpässen bei der Passagier- und Gepäckabfertigung. Es stand einfach nicht genügend Bodenpersonal zur Verfügung. Welcher Koffer kommt wohin ins Flugzeug oder in welchen Container? Auch hier können intelligentere Lösungen helfen, zusätzliche Effizienzen zu heben und so den Personalmangel abzufedern.

Ähnliche Fragen werden sich bald alle Branchen mehr oder weniger häufig stellen, da ihnen weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter zur Verfügung stehen werden.

AI als Allround-Lösung würde aber ein Umdenken voraussetzen …

Marc: All diese Innovationen „yet to come“ können nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn sie auch auf Akzeptanz stoßen und breit eingesetzt werden. Insofern erfordert dies eine positive Grundhaltung gegenüber diesem Wandel, auch wenn es Umbrüche und Herausforderungen geben wird.

Auch wird eine Vielzahl von Innovationen und Erfindungen – getrieben und unterstützt von privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren – notwendig sein, um in allen denkbaren Bereichen für Entlastung zu sorgen, damit sich die Menschen auf das Wesentliche konzentrieren und Leistungen überhaupt noch zu bezahlbaren Preisen erbracht werden können.

Frank: AI-Technologien machen Tätigkeiten der Automatisierung zugänglich, die bisher nicht automatisierbar waren. Insofern ergeben sich ähnliche Fragestellungen wie in der Industrie bei der fortschreitenden Automatisierung der letzten Jahrzehnte. Es wird weniger Arbeitskraft benötigten, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Die verbleibenden Arbeitskräfte wiederum übernehmen konzeptionelle und steuernde Tätigkeiten anstelle von ausführenden.

Welche Konsequenzen bringt diese Entwicklung noch mit sich?

Frank: Die Anforderungen an Ausbildung und Qualifikation werden entsprechend steigen. Gesellschaft und Politik werden sich diesen Veränderungen stellen müssen, um sie positiv und proaktiv zu gestalten. Denn in dieser Hinsicht unterscheidet sich die breite Einführung von AI-Technologien nicht von früheren Automatisierungswellen. Es wurden Lösungen gefunden, die im Ergebnis Wohlstand und Lebensqualität gesichert bzw. verbessert haben.

Marc: Technischer Fortschritt ist für die Bewältigung vieler Herausforderungen unverzichtbar – allen voran der demografischen. Ob wir ihn als Fluch oder Segen empfinden, hängt davon ab, ob und wie wir die mit dem Fortschritt einhergehenden Veränderungen gestalten. Wir sollten daher keine Angst haben, sondern den Wandel als Chance begreifen und aktiv nutzen. AI-Technologie hat das Potenzial, unser Leben in vielen Bereichen zu verbessern und einen Beitrag zur Lösung der Herausforderungen der Zukunft zu leisten.

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