Die weltweite Coronavirus-Pandemie hat eine beispiellose Beschleunigung der Verbraucherakzeptanz von digitalen Produkten und Dienstleistungen ausgelöst. Das führt zu erheblichen Marktzuwächsen. Jetzt müssen sich die Unternehmen mit ihren Marken dieser Herausforderung stellen und ihren eigenen digitalen Transformationsprozess beschleunigen.
Ein Paradigmenwechsel findet statt, seitdem vor einem Jahr das Coronavirus in Deutschland angekommen ist: Bei 18 Millionen Erwachsenen ist die tägliche private Bildschirmzeit (Computer, Laptop, Tablet, Smartphone) um 50 Prozent und mehr nach oben geschnellt. Das dokumentiert eine durchgeführte repräsentative Umfrage, an der in Deutschland 1.500 über 18-Jährige teilgenommen haben.
Die digitale Beschleunigung hat auch das private Umfeld erfasst, das spürt mittlerweile fast jeder. Umfrageziel war es, dieses Gefühl mit validen Zahlen zu quantifizieren und deutlich zu machen, wie viele Konsumenten innerhalb des ersten Pandemie-Jahres im privaten Bereich als Erstnutzer welche digitalen Produkte und Dienstleistungen abgerufen und genutzt haben.
Die Ergebnisse zeigen es deutlich: Die Pandemie hat Millionen von Konsumenten dazu veranlasst, auch im Privaten die digitale Kluft zu überwinden. Die Marktzuwächse bei digitalen Diensten, Produkten und Services sind enorm. Neue Aspekte eines bildschirmzentrierten Lebens schieben sich in den Vordergrund. Seit dem Ausbruch der Pandemie haben 2,8 Millionen Deutsche erstmals einen Online-Fitnesskurs geschaut. 3 Millionen Erwachsene haben zum ersten Mal einen Online-Learning-Kurs besucht. 5,8 Millionen über 18-Jährige haben erstmals Essen und Lebensmittel bei einem Online-Lebensmittel-Lieferdienst bestellt. 7,5 Millionen Verbrauchende haben zum ersten Mal Waren im Internet geordert.
Die Digitalisierung ergreift nahezu alle Lebensbereiche: Auch das virtuelle Dating sowie Kultur im Netz stehen vergleichsweise hoch in Kurs. Live-Events wie etwa Konzerte (2,5 Millionen) und virtuelle Museumsbesuche (1,5 Millionen) erhielten innerhalb eines Jahres einen deutlichen Zulauf von Erstnutzern; ebenso wie die Dating-Portale, bei denen 1,5 Millionen über 18-Jährige erstmals vorbeigeschaut haben. Wir erleben eine digitale Beschleunigung in einem noch nie dagewesenem Ausmaß.
Die größte digitale Transformation, die derzeit stattfindet, ist die im Leben der Konsumenten. Von vielen von uns wird alles, was auf einem digitalen Bildschirm erledigt werden kann, jetzt auch auf einem digitalen Bildschirm erledigt. Diese Beschleunigung wird sehr wahrscheinlich tief greifende und dauerhafte Auswirkungen auf viele Verbrauchermarken haben. Und zwar auch dann, wenn wir die Pandemie hinter uns lassen sollten.
Die Beschleunigung der digitalen Transformation
Ob und wie Verbrauchermarken auf die Great Acceleration reagieren, dürfte maßgeblich davon abhängen, welche Schlüsse sie aus der Digitalisierung des Privaten ziehen werden.
Eine Sichtweise besteht darin, die beschleunigte Akzeptanz digitaler Produkte und Dienstleistungen als eine anomale und vorübergehende Erscheinung zu betrachten. Aus diesem Blickwinkel kann unser bildschirmzentriertes, pandemisches Leben als eine kurzfristige Anpassung an die Ängste vor Viren und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens gesehen werden. Sobald sich die Lockdown-Restriktionen und die Ängste verflüchtigen, wird das Verbraucherverhalten mehr oder weniger zu den Mustern vor der Pandemie zurückkehren. Die Menschen werden sich wieder von ihren Bildschirmen verabschieden und in Scharen in Geschäfte, Einkaufspassagen, auf Flughäfen und Bahnhöfe, in Bankfilialen, Fitnessstudios, in Kinos, Theatern und Museen zurückkehren.
Wir kehren zurück zur »Normalität« vor der Pandemie. Diese für viele beruhigende Perspektive könnte implizieren, dass alles, was Verbrauchermarken tun müssen, darin besteht, den pandemischen Sturm zu überstehen und darauf zu warten, dass das Geschäft wie gewohnt weitergeht.
Es gibt mindestens zwei Gründe, warum diese Interpretation wenig plausibel erscheint. Erstens ist das, was während der Great Acceleration passiert ist, lediglich die Verstärkung eines Trends, der bereits in der Zeit vor der Pandemie wirkte. In Deutschland (wie auch in vielen anderen Ländern) hatten bereits viele Konsumierende – wenn auch eher langsam ansteigend – ihre Bankgeschäfte, Einkäufe und den Medienkonsum Schritt für Schritt ins Digitale verlagert. Eine Entwicklung, die im Privaten wie im Beruflichen gegriffen hat – durch mehr Home-Tech, Health-Tech, Education-Tech und Work-Tech.
Aber in Zukunft werden mehr Optionen als je zuvor existieren – mit neuen digitalen Standards für Schnelligkeit, Einfachheit und Wert.
Dr. Paul MarsdenDigital Strategist SYZYGY GROUP
Natürlich können sich einige Verhaltensweisen wieder zurück in Richtung der Normen aus der Zeit vor der Pandemie verschieben. Aber in Zukunft werden mehr Optionen als je zuvor existieren – mit neuen digitalen Standards für Schnelligkeit, Einfachheit und Wert. Vor diesem Hintergrund werden viele Verbrauchermarken ihr Wertversprechen verbessern müssen, um ihre Klientel zu überzeugen, um ihre Bestandskunden zu halten und um neue Kunden hinzu zu gewinnen.
Schon heute, spätestens aber nach dem Ende der Pandemie werden also viele Marken und Unternehmen vor einer Entscheidung stehen. Kehren sie zurück zum Business as usual. Oder werden sie sich umfassend auf die digitale Transformation einlassen, um noch besser zu werden. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, besser zu werden, werden versuchen, ihre Anstrengungen für die digitale Transformation deutlich zu steigern. Weil sich nur so die neuen Anforderungen der digital veränderten Verbraucher erfüllen lassen.
Dabei geht es um mehr als den Einsatz von Technologien. Notwendig ist eine neue digitale Kultur, die auf dem Verständnis und der Erfüllung der Bedürfnisse einer digital transformierten Welt aufbaut. Digital muss groß gedacht werden.
Das Digitale groß denken
Zu lange wurde die Digitalisierung lediglich als ein Wettbewerb mit Medien und Kanälen, als ein Werkzeug für Kosteneinsparungen und Manipulationen oder als ein Spiel mit der Aufmerksamkeitsökonomie betrachtet. Dabei ist die Digitalisierung so viel mehr: Sie ist ein Wirken für die Wertschöpfung.
Durch die Förderung einer lebendigen und innovativen digitalen Kultur können Marken und Unternehmen die Digitalisierung in den Dienst der Wertschöpfung stellen und damit einige der großen Herausforderungen unserer post-pandemischen Welt angehen. Dabei müssen wir uns fragen, wie die digitale Technologie den Nutzen für Kunden, Verbraucher und die Gemeinschaft steigern kann. Wir müssen uns auch fragen, wie sich digitale Innovation für den Schutz der Umwelt einsetzen lassen. Wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anhand digitaler Lösungen bei der Entwicklung neuer Fähigkeiten in einer sich schnell verändernden Welt besser unterstützt werden können. Wie digitaler Einfallsreichtum Unternehmen helfen kann, fairer und ethischer mit Lieferanten und Partnern umzugehen. Und wie digitale Initiativen langfristigen Wert für Aktionär:innen schaffen können, die das Kapital für Investitionen, Wachstum und Innovation bereitstellen.
Die Antworten auf diese Fragen sind die Bausteine einer digitalen Kultur der nächsten Generation. Zusammen werden sie uns helfen, wieder besser zu werden.
Während es also nichts Positives an einer Pandemie gibt, die weiterhin das Leben und die Lebensgrundlagen so vieler Menschen zerstört oder umstößt, hat eine der Folgen der Pandemie – die beschleunigte Nutzung digitaler Technologien und Angebote – das Potenzial, positiv transformierend zu sein. Indem wir eine digitale Kultur entwickeln, fördern, implementieren und etablieren, die das positive Potenzial der digitalen Technologie versteht, nämlich unser Leben zu verbessern und Kräfte für das Gute freizusetzen.
Die Zukunft erscheint in einem hellen Licht, die Zukunft ist digital.